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„Farbe bekennen: Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte“

Historischer Aufbruch und kollektiver Meilenstein

In der Schwarzen deutschen Geschichts­schreibung ist das Jahr 1986 mit einem wichtigen histori­schen Ereig­nis ver­knüpft: dem Erschei­nen des Buches „Farbe be­kennen“. Heraus­gegeben von den Schwarzen deutschen Wissen­schaf­tlerin­nen und Akti­vistin­nen May Ayim (damals Opitz) und Katharina Oguntoye sowie der weißen deutschen Ver­lege­rin Dagmar Schultz, prä­sen­tiert es die bis dahin erste um­fas­sen­de Ver­öffent­lichung zu Schwarzer deutscher Geschichte.

Cover der Erstausgaben von „Farbe bekennen“ auf Deutsch (1986) und Englisch (1992)

„Mit diesem Buch“ – so schreiben die Heraus­ge­berinnen – „wollen wir in Ver­bin­dung mit per­sön­lichen Er­fah­run­gen Zu­sam­men­hänge von Rassis­mus offen­legen. Bei den Recher­chen lern­ten wir afro-deutsche Frauen kennen, die wäh­rend des Kaiser­reiches, der Weima­rer Repub­lik und wäh­rend des National­sozialis­mus in Deutsch­land ge­lebt hat­ten. […] Plötz­lich ent­deck­ten wir, daß unsere Ge­schich­te nicht erst nach 1945 be­gann. Vor unse­ren Augen stand unsere Ver­gan­gen­heit, die eng ver­knüpft ist mit der kolo­nialen und national­sozia­listi­schen deutschen Ge­schich­te.“

Diese Aus­gangs­situa­tion wirft für die Ver­wirk­lichung des Buches sehr grund­sätz­liche Fragen auf: Wie kann eine ver­dräng­te, ver­schüt­te­te und nahe­zu un­sicht­bar ge­mach­te Ge­schich­te sicht­bar und er­zähl­bar ge­macht wer­den? Wes­sen Per­spek­ti­ven und Deu­tun­gen ste­hen im Vor­der­grund? Wie schreibt man eine Ge­schich­te, die nicht nur von Rassis­mus, son­dern auch von Sexis­mus und ande­ren Macht­ver­hält­nis­sen ge­prägt ist?

In der Aus­ein­ander­setzung mit die­sen Fragen wer­den in „Farbe be­ken­nen“ neue Zu­gän­ge er­ar­bei­tet. Das Er­geb­nis ist eine Schwarze femi­ni­sti­sche deutsche Ge­schichts­schrei­bung, in der sich die histo­ri­sche For­schung von May Ayim, die per­sön­lichen Er­inne­run­gen afro­deutscher Zeit­zeugin­nen meh­re­rer Ge­ne­ra­tio­nen so­wie Ge­dich­te, Inter­views und Er­fah­rungs­frag­men­te zu einer kol­lek­ti­ven Ge­schich­te ver­knüp­fen. Aus­druck die­ses neuen Selbst­ver­ständ­nis­ses ist die Selbst­bezeich­nung „afro-deutsch“, die May Ayim und Katharina Oguntoye ge­mein­sam mit Audre Lorde ent­wickeln.

„Farbe be­ken­nen“ wird mehr­fach auf­ge­legt und er­scheint 1992 auf Eng­lisch. In den drei­ßig Jahren seit seiner Ver­öffent­lichung hat das Werk Denk- und Dis­kussions­räume er­öff­net, die es in Deutsch­land so zu­vor nicht ge­ge­ben hat. Nach wie vor in­spi­riert es die poli­ti­sche Ar­beit, den Um­gang mit Er­inne­rung und die wissen­schaft­liche For­schung. Es gilt – nicht nur in Schwarzen Zu­sam­men­hän­gen – inzwi­schen als Stan­dard­werk.