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The Living Archive

Passing it On – re/visited – Die Jahre seit 2010

Die Jahre seit 2010:  Was wissen wir (nicht) und warum? – Wissens(be)stände Schwarzer Menschen und People of Colour in der gemeinsamen kritischen Erkundung

Diese Fragen wurden gestellt im Rahmen des Zeitzeug*innengespräches „Bewegungsgeschichte*n re/visited“, welches im Oktober 2019 in der Reihe „Passing it On“ stattfand. An dem Gespräch nahmen Ford Kelly und Mona el Omari teil.

Im Nachgang haben wir beide Teilnehmenden gebeten, uns in einem Interview nochmals auf die Fragen des Gesprächs zu antworten. Hier findet ihr die Antworten von Mona El Omari.

xart splitta: Wie warst Du bewegungspolitisch oder community-mäßig vor 10 Jahren verortet, hat sich da für Dich etwas verändert und wenn ja, warum?

Mona El Omari: Vor 10 Jahren war ich gerade in einer Phase, in der ein großer Traum von mir geplatzt und ich ganz plötzlich mit der Frage konfrontiert war, was ich stattdessen machen wollte. So verschlug es mich letztlich von Münster – wo ich meine Community/ies-Kontakte sprichwörtlich an einer Hand abzählen konnte – nach Berlin. Dort habe ich sofort in Community/ies-Räume eintauchen dürfen, weil eine befreundete Person eine schicksalhafte Connection zu einem großartigen Menschen hergestellt hatte. Ob es – mittlerweile legendäre – Geburtstagsparties oder andere, expliziter politische Veranstaltungen waren, kaum war ich einige Wochen in Berlin, hatte ich bereits Menschen kennengelernt, die mir in den nächsten Jahren aus verschiedensten Gründen und auf verschiedensten Ebenen ans Herz wachsen sollten. Die zu meiner emotional-politischen Chosen Family werden würden. Gerade während meiner ersten Zeit in Berlin durchlief ich – Hand auf’s Herz – nach der anfänglichen „Begeisterung der Neuen“ einige Phasen, in denen ich sehr mit „Community“ als Konzept und auch damit, wie ich „Community“ erlebte und leben wollte, gehadert habe. Ich hatte unerfüllbare Erwartungen an Community/ies, da ich nicht sofort sehen und verstehen konnte, wieviel intentionale Arbeit dazu gehört, all die gewalttätigen Strukturen um uns herum, die wir (und „wir“ heißt auf jeden Fall auch großes „Ich“) internalisiert haben, nicht zerstörerisch in diesen starken und gleichzeitig sehr verletzlichen Räumen zu reinszenieren. Heute weiß ich es. Was nicht heißt, dass es mir immer gelingt, entprechend zu handeln oder, dass alle Räume, in denen ich mich bewege und die ich mitgestalte, frei davon sind. Woher auch? Wer von uns ist so „fertig mit Werden?“ Es heißt jedoch auf jeden Fall, dass ich mich heute in großem Maß für diese Räume mitverantwortlich fühle; viel mehr noch, als das vor 10 Jahren der Fall war. Was nicht unbedingt eine Veränderung beschreibt, aber eine Fokussierung. Eine Re-Fokussierung und damit viel mehr eine Veränderung war die wunderschöne Lektion, die ich in Gemeinschaft und im Austausch mit älteren Schwarzen Freund:innen lernen durfte, die bereits seit Jahrzehnten (politische) Communityarbeit leisteten; Arbeit, die mich/uns immer wieder dazu einlädt, meine/unsere Energie (auch) darauf zu richten, was uns und uns in unseren Communities wichtig ist, statt uns dauerhaft an gewalttätigen Strukturen abzuarbeiten und darin zerreiben zu lassen. Für diesen Shift bin ich bis heute tief dankbar. Denn auch wenn „Heilung“ (im weitesten Sinne des Wortes) in den Strukturen, die uns verletzen, nicht vollständig gelingen kann, so kommt das, was mit Hilfe dieser Re-Fokussierung in Community-Räumen entstehen durfte und darf, was ich bezeugen durfte, wovon ich Teil sein durfte, doch schon sehr an das heran, was ich – wenn nicht als Heilung – in jedem Fall als heilsam bezeichnen würde. Und wenn das keine Veränderung ist, dann weiß ich es auch nicht. 

x.s.: Welche Themen waren damals und sind heute für Dich wichtig, wo hast Du Schwerpunkte gesetzt. Gibt es da Verschiebungen seitdem?

M.E.O: Ich glaube mit Blick auf die „großen“, übergeordneten Themen hat sich bei mir nicht viel verändert. Wo es Verschiebungen gab, ist der Bereich der Schwerpunkte und in der Art und Weise, wie ich mich diesen Schwerpunkten nähere, wie ich zu ihnen arbeiten und weiterdenken möchte und mit wem. Ein Beispiel dafür ist etwa, dass ich heute, viel mehr als vor 10 Jahren, an „informellen“ Strukturen interessiert bin und daran, wie wir darin zumindest Teile der großen Themen angehen können. Ein weiteres ist, dass ich heute viel mehr als vor 10 Jahren verstehe, dass Joy, Ruhe, Heilsames keine cutesy Extras sind, die eins sich nach der „echten“ politischen Arbeit „gönnt“, sondern dass sie  unabdingbarer Teil der politischen Arbeit sind und sein müssen. Eigentlich kein bahnbrechendes Wissen, für mich war es aber eine große Erkenntnis. 

x.s.: Würdest Du der folgenden Aussage zustimmen: 

Der Ausbau und die Etablierung von (Queeren) BIPoC Räumen nahm immer mehr zu, und das Bewusstsein um die intersektionalen Dimensionen von Diskriminierungen fand auch außerhalb dieser Räume langsam Eingang.“

Wenn ja was waren Deiner Ansicht nach mögliche Gründe hierfür?

M.E.O: Ich würde dieser Aussage in Teilen zustimmen. Ja, es ist richtig, dass die intersektionalen Dimensionen von Diskriminierung allmählich auch vermehrt im „Außen“ unserer Räume gesehen und anerkannt werden. Gleichzeitig stellt sich mir die Frage nach dem „Was jetzt?“ Und „Werden diese intersektionalen Dimensionen an den ‚entscheidenden‘ Stellen gesehen und anerkannt?“ Und wie oft müssen diese Diskriminierungen gesehen und anerkannt werden, bis die Diskriminierungen aufhören? Mit Bezug auf die Etablierung (Queerer) BIPoC-Räume sehe ich auch, dass es hamdullilah immer mehr von ihnen gibt. Trotzdem muss gesagt werden, dass sich – was Wissen und Räume anbelangt – immer noch sehr viele Ressourcen in Berlin bündeln und BIPoCs außerhalb von Berlin es streckenweise noch schwerer haben, diese Räume zu finden oder aufzubauen. Und auch in Berlin sind diese Räume ja oft eher prekär. Mein letzter Satz zu dieser Frage soll einer der Anerkennung und Wertschätung sein. Anerkennung und Wertschätzung, für all die Menschen, die vor uns und jetzt für diese Räume gekämpft und sie aufgebaut haben, teils ohne selbst die Früchte ihrer Arbeit genießen zu können. Danke.

x.s.: Welche Rolle spielen Deiner Meinung nach soziale Medien und generell Digitalisierung in der Veränderung der (Queeren) BIPoC bewegungspolitischen Landschaft? Wie hat sich das Momentum geändert? Welche Rolle spielen in der Wissensproduktion und –weitergabe (auch und vor allem generationsübergeifend)  neue Medien und Kommunikationsformen und was sind Vor- und Nachteile?

M.E.O.: Soziale Medien und allgemeiner das Internet rufen bei mir immer eine gewissen Ambiguität hervor. Einerseits können sich (Queere) BIPoC hier Räume nehmen und aufbauen, in denen sie – fast ungestört von sonst nervigen Institutions-Gatekeepers – in Eigenregie Wissen und Kunst generieren und teilen können. Und das international und intergenerationell. Im Leben könnte ich nicht erschöpfend aufzählen, wieviel ich durch Social Media, genauer, Menschen, die dort Content generieren und teilen, sehen und lernen durfte. Wieviele Arbeitsaufträge, schöne Verbindungen und Freund:innenschaften so entstanden sind. Innerhalb von kürzester Zeit kann eine Menge von Menschen erreicht werden, wie es offline so nicht möglich ist. Ich lerne über und von Kämpfen, von denen ich sonst nie gehört hätte. Das alles macht mich dankbar. Gleichzeitig ist das Internet und sind soziale Medien nach wie vor auch ein Abbild der Gesellschaft, wie sie sich offline abspielt. Räume, auch digitale, sind von diesen Strukturen nicht frei. Wir legen all diese Dinge nicht ab, in dem Moment, wo wir unseren Browser oder eine App öffnen. Und wenn wir richtig Pech haben, dann hämmert uns auch noch ungefragt ein Bild oder ein Video in die Timeline, das Gewalt an Schwarzen Menschen oder Menschen of Color zeigt. Social Media-Orte sind keine unschuldigen Orte. Es sind auch keine Orte, die – nur weil sie digital sind – jetzt auf einmal absolut niedrigschwellig und einfach zugänglich sind. Auch sie sind voraussetzungsvoll. Aber es sind Orte, die wir uns zunutze machen können und dies schon längst tun. 

x.s.: Woran liegt es aus Deiner Perspektive, dass bestimmtes Wissen auch innerhalb unsere BIPoC Communitiessichtbar(er) und anderes unsichtbar(er) wird? Und damit verbunden bestimmte Perspektiven eher gehört werden als andere? Welche Auswirkungen haben diese unterschiedlichen Wissensstände und Wissensarchive auf Möglichkeiten und Erfolge von Bündnisarbeit?

M.E.O.: Dieses Projekt [„Passing it On“] ist so unglaublich wichtig! An dieser Stelle Euch, die Ihr es organisiert und umsetzt einen großen, herzlichen Dank! Es ist auch mein Eindruck, dass nach wie vor bestimmtes Wissen nicht sichtbar(er) ist, nicht gesehen werden will. Zumindest nicht für weiße Menschen, zumindest nicht von weißen Menschen. Denken wir nur daran, dass die deutsche Kolonialgeschichte bis heute nicht aufgearbeitet wurde. Weder in Schulbüchern, noch in breiteren gesellschaftlichen Diskursen. Oder an die eigentlich verdeckenden Politiken rund um Erinnerungskultur im Kontext der weiß-deutschen NS-Täter:innen-Geschichte. Genauso verhält sich auch mit dem Wissen um (politische) BIPoC-Bewegungen und nicht zuletzt (politische) BIPoC-Bewegungen in Deutschland. Das heißt aber nicht, dass dieses unsichtbar(er) gemachte Wissen nicht vorhanden ist oder dass nicht seit jeher schon Menschen – (Queere) BIPoC – darum kämpfen und dafür arbeiten, dieses Wissen sichtbar(er) zu machen und als Wissen auch wirksam werden zu lassen und dies an wichtigen Stellen ja auch schon geschafft haben. Wir fangen eben nicht von Null an. Wir stehen auf den Schultern, von denen wir kaum etwas wissen. Auf gewisse Art kann ich verstehen, warum es „uns“ [„uns“ als (Queere) BIPoCs] manchmal leichter fällt, auf Bewegungen in z.B. den USA zu schauen, da einige Wissensbestände von dort hier zugänglicher, auffindbarer sind, als widerständige Wissensbestände aus dem deutschen Kontext. Was nicht zuletzt ein weiteres Argument dafür ist, wie wichtig es ist, dass wir Wege finden, uns den unterschiedlichsten widerständigen Wissensbeständen und -archiven anzunähern. Weiter verkompliziert wird diese Situation ja auch dadurch, dass wir als unterschiedliche, rassismuserfahrene Communities nicht nur sehr erschwert Zugang zu unseren „eigenen“ Wissensarchiven haben. Genauso schwierig, wenn nicht schwerer ist es, Geschichte/n und Wissensarchive anderer Communities zu hören, zu sehen und zu erfahren. Ich glaube, dass dieser Umstand nicht nur Solidarisierung und Bündnisarbeit verkompliziert, sondern auch dafür sorgt, dass wir immer wieder Menschen über_sehen und über_denken, die nicht „unseren“ Communities angehören oder an den Intersektionen zwischen Communities positioniert sind. Es ist wichtig, dass wir von- und übereinander lernen. Auch wenn das bedeutet, dass wir in diesem Austausch Dinge über uns, „unsere“ Communities lernen, die vielleicht unbequem und schmerzhaft sein können. 

x.s.: Welche Rolle spielt das Weitergeben von Widerstandsgeschichte in Deiner Arbeit und in Deinem Aktivismus?

M.E.O: Meine Arbeit als freie Empowerment-Trainerin, aber auch als angehende systemische Therapeutin wäre nicht oder nur schwer denkbar ohne das Hinzuhiehen und die Weitergabe von Widerstandgeschichten und widerständigem Wissen. 

x.s.: Wo stehen wir heute? Was würdest Du in Bezug auf den Umgang mit und der Weitergabe von (widerständigem)Wissen innerhalb von (Queeren) BIPoC Communities für die Zukunft wünschen?

Ich wünsche mir mehrere Dinge. Zunächst einmal wünsche ich mir, dass uns weiterhin das große Geschenk zuteil wird, dass Menschen aus unseren Communities die harte und von Liebe getragene Arbeit auf sich nehmen, widerständiges Wissen zu sammeln, zu dokumentieren, zugänglich zu machen, zu teilen und so auch für die Zukunft zu sichern. Ich wünsche mir, dass die bestehenden Räume, in denen dies geschieht, nicht mehr von Prekarität bedroht sind und dass es noch mehr davon geben wird. Ich wünsche mir, dass uns dieses Wissen – wie viele andere Dinge – dazu einlädt, unsere teils ähnlichen, teils unterschiedlichen Erfahrungen anzuerkennen, wertzuschätzen und daraus zu lernen. Auch wenn es hart ist. Und unbequem. Ich wünsche mir, dass all das auch noch stärker an Orten geschehen kann, die nicht Berlin sind. 

Mona El Omari ist Diplom-Sozialpädagogin/Diplom-Sozialarbeiterin, Empowerment-Trainerin sowie Poetess und Schreib-Trainerin. Überdies befindet sich Mona El Omari derzeit in der Endphase ihrer Weiterbildung zur Heilpraktiker*in für Psychotherapie.

Das Interview führte Iris Rajanayagam.