Selman Selmanagić (1905 - 1986)
„Den gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang will ich unter Architektur verstehen. Mich interessiert, daß die Menschen sich im Raum glücklich und wohl fühlen.“
Selman Selmanagić wird am 25. Mai 1905 in Srebrenica geboren. Der gelernte Tischler hegt ein großes Interesse an Architektur und entschließt sich 1930, nach Dessau zu gehen. Dort schreibt er sich am berühmten Bauhaus ein und studiert Städteplanung, Bauausführung, Innenarchitektur und Produkt-Design. Im selben Jahr tritt er der Kommunistischen Partei Deutschlands bei. Kurz vor dem Wahlsieg der Nationalsozialisten erhält Selmanagić sein Abschlusszeugnis. Nach der erzwungenen Schließung des Bauhauses arbeitet er kurzzeitig bei Bauhaus-Gründer Walter Gropius, muss jedoch wegen seiner jugoslawischen Staatsbürgerschaft entlassen werden.
1933 verlässt Selmanagić Berlin und begibt sich auf eine Studienreise durch Europa, Nordafrika und den Nahen Osten. Nach einem einjährigen Arbeitsaufenthalt in Konstantinopel erreicht er Jerusalem im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina. Er beginnt im Büro von Richard Kauffmann, einem angesehenen Architekten und Städteplaner aus Frankfurt/Main, zu arbeiten. Unter den eingewanderten und geflüchteten Bauhäuslern und Architekten nimmt Selmanagić eine Sonderrolle ein: Er bewegt sich zwischen den religiösen, politischen und ideologischen Fronten im Land. Seinem ehemaligen Bauhaus-Kommilitonen Hajo Rose schreibt er am 1. Oktober 1935, er habe "je nach der arbeitsstelle 'die farbe gewechselt', und man hat mir immer geglaubt. ich habe dabei gesehen dass es nur auf die aeussere form ankommt wenn ich ein rotes fez trage haelt man mich fuer einen mohamedaner (...) und wenn ich am sonnabend nicht arbeite, glaubt man ich sei juedisch. die ganze sache ist verlogen."
Als durch einen Zufall herauskommt, dass Selmanagić Muslim sei, wird er entlassen. Er macht sich selbstständig und arbeitet für verschiedene Auftraggeber. 1937 gestaltet er die Inneneinrichtung des „Café Siedner“ und des bekannten „Café Tabor“ in der Ben-Jehuda-Straße in Jerusalem, eines beliebten Treffpunkts der Künstler*innenszene. Die Sanierung der Klagemauer zählt zweifellos zu den einzigartigen Bauprojekten dieses ungewöhnlichen und grenzüberschreitenden Architekten, dessen Wirken in der israelischen Baugeschichte bislang wenig Aufmerksamkeit findet.
1939 ruft die kommunistische Bauhausgruppe Selmanagić zurück nach Berlin, um sich dem antifaschistischen Widerstand anzuschließen. Hier hält er Kontakt zu oppositionellen Architekt*innengruppen, nimmt an illegalen Treffen teil und wirkt in kommunistischen Zellen mit. In den Kriegsjahren ist er zeitweilig als Kino- und Filmarchitekt für die UFA tätig. Als er aufgefordert wird, im nationalsozialistischen Baustil zu arbeiten, wechselt er aus Protest in die Filmarchitektur und ist aufgrund seiner politischen Überzeugungen für verschiedene Architekten tätig.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernimmt Selmanagić eine führende Rolle beim Wiederaufbau Berlins. Er ist langjähriger Professor an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und leitet bis zu seiner Pensionierung 1970 die Abteilung für Architektur. Danach beteiligt er sich an der Rekonstruktion des Bauhaus-Gebäudes in Dessau. In den 1980er Jahren erhält er den Vaterländischen Verdienstorden der DDR in Gold. Selman Selmanagić stirbt am 7. Mai 1986 in Ost-Berlin.