Anita Awosusi wird 1956 in Karlsruhe geboren. Nach ihrem Auftritt in einem Theaterstück, das auf den Erfahrungen der Sinti-Familie Kreutz / Lagrenne basiert, erhält sie Ende der 1980er Jahre das Angebot, im Rahmen eines Pilotprojekts zur Geschichtsreferentin ausgebildet zu werden. Das Projekt „Sinti bearbeiten ihre Geschichte“ ist vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma initiiert und verfolgt ein wichtiges Ziel: das Erlernen des Erforschens der eigenen Geschichte. Angesichts massiver historischer Verleugnungen, diskriminierender Stereotype und rassistischer Geschichtsschreibungen ist die Verankerung eines Geschichtsverständnisses, das im Wissen und in den Erfahrungen der Minderheit wurzelt, von großer Bedeutung.
Anita Awosusi beteiligt sich am Aufbau des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma, einer weltweit einzigartigen Facheinrichtung, die 1997 nach vielen Jahren Vorarbeit in Heidelberg eröffnet wird. Dort übernimmt sie die Leitung des Referats Dialog. Im Rahmen ihrer langjährigen Tätigkeit als politische Bildnerin organisiert sie mehr als 1.300 Führungen. Sie koordiniert Projekte und Kooperationen der nationalen und internationalen Sinti- und Roma-Jugendarbeit, konzipiert Dokumentationen und Lehrmaterialien und gibt unzählige Workshops zu Erinnerungspolitik und Aufarbeitung des Pharrajmos. Darüber hinaus macht sie sich als Autorin und Herausgeberin verdient.
Seit Mitte der 1990er Jahre setzt sich Anita Awosusi gemeinsam mit zahlreichen anderen Aktivist*innen der Bürgerrechtsbewegung – unter ihnen auch Ilona Lagrene und Otto Rosenberg – für die Errichtung eines zentralen Denkmal-Mahnmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas ein. Sie organisiert Demonstrationen und Veranstaltungen mit und nimmt an den langwierigen, oftmals zähen Auseinandersetzungen mit Vertreter*innen aus Politik und Gesellschaft teil.
In ihrem Buch „Vater unser. Eine Karlsruher Sinti-Familie erzählt“ verfolgt Anita Awosusi als Chronistin ihrer Familiengeschichte den Anspruch, die biographische und historische Erinnerung zu bewahren. Dass sie sich dabei zugleich auf die Menschen der Gegenwart und der Zukunft konzentriert, kennzeichnet das Denken und Schaffen der Autorin: ihre Hingabe zur Familie, ihre lebenslange, auch berufliche Auseinandersetzung mit den Folgen des Nationalsozialismus und ihren Mut, eigensinnig nach vorn zu blicken.
Die Lesung fand im Rahmen der Abschlussveranstaltung des Projektes "Erinnerungsorte" an der Akademie des Jüdischen Museums Berlin statt