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Glossar

Heteronormativ

Heteronormativ setzt sich aus unterschiedlichen Wörtern zusammen:
Heterosexualität: Also die Liebe, das Begehren, zwischen einem Mann und einer Frau
und
Normativ, also Norm: Eine Regel bzw. eine Denkweise, die gesellschaftlich als richtig und besser bewertet wird.
Heteronormativ beschreibt somit zum einen die Annahme, dass es nur zwei Geschlechter (Mann oder Frau) gibt und dass diese Geschlechter sich gegenseitig und nur in dieser Kombination emotional und sexuell anziehen. Jede Abweichung davon entspricht nicht mehr der gesellschaftlichen Normen und wird deshalb auch nicht als gleichwertig anerkannt.  Homosexualität wird beispielsweise nicht als gleichwertige sexuelle Orientierung anerkannt, da es in heteronormativen Strukturen keine Sexualitäten jenseits von Heterosexualität gibt bzw. diese, wenn die denn existieren, als schlechter abzuwerten sind.

Heteronormativität findet sich in allen Bereichen unseres Lebens wieder. Einige Beispiele sind in Kinderbüchern oder in Werbung, in denen nur heterosexuelle Beziehungen abgebildet werden, die Gesetze, die lange Zeit der heterosexuellen Ehe mehr Rechte geben als der homosexuellen Lebenspartnerschaft, sowie in Fragen, wie „Hast du einen Freund?”, an Mädchen gerichtet und „Hast du eine Freundin?”, an Jungen. Grundlegen gilt, dass davon ausgegangen wird, dass alle Menschen dieser Gesellschaft heterosexuell und cis sind.


Heteronormativität ist ein zentrales Konzept der Queer Theory, mit dem die Naturalisierung und Privilegierung von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit in Frage gestellt und dekonstruiert wird.

Das westliche Konzept der Heteronormativität wurde vor allem durch den französischen Philosophen Michel Foucault und die US-amerikanische Philosophin Judith Butler geprägt, die sich jeweils mit der diskursiven Konstruktion von Sexualität und Geschlechtlichkeit auseinandersetzten. Foucault markierte in den 1970er und 1980er Jahren die Konstruktion einer heterosexuellen, bürgerlich-monogamen sexuellen Norm zur Sicherung des gesellschaftlichen Status quo. Nachdem Foucaults Konzept vielfach dafür kritisiert worden war, die rassistische Dimension der sexuellen Norm – die eben auch weiß war – nicht zu erfassen, wurden seine Überlegungen von verschiedenen Theoretiker*innen aufgegriffen und erweitert. Butler, auch vielfach kritisiert für die Auslassungen rassistischer Intersektionen, markierte in den 1990er Jahren das binäre Geschlechtersystem ebenfalls als Produkt gesellschaftlicher hegemonialer Diskurse (zu Gender). Um die heterosexuelle Norm abzusichern, müssten nach Butler kontinuierlich sich ergänzende und gleichzeitig gegensätzliche und asymmetrische Eigenschaften der Geschlechter im Sinne von „typisch weiblich“ und „typisch männlich“ (re)produziert werden. Bei “kohärenten“ Geschlechtsidentitäten, also cis-Identitäten, stimmt die Zuordnung des anatomischen Geschlechts bei Geburt mit der Geschlechtsidentität im weiteren Verlauf des Lebens und im Falle der Heteronormativität auch mit dem dann heterosexuellen Begehren überein. Jedoch gibt es diverse nicht-normative Geschlechtsidentitäten, welche dann gesellschaftlich marginalisiert und diskriminiert werden. In der historisch weiß dominierten Queer Theory forderten BIPoC seit den Anfängen, Konzepte wie Heteronormativität stärker intersektional zu denken und historisch zu verorten. Queere BIPoCs machten bereits in den 1980er Jahren öffentlichkeitswirksam auf die engen Wechselwirkungen zwischen den sozialen Kategorien class, race, gender und Sexualität aufmerksam (u.a. The Combahee River Collective zu Intersektionalität). Vertreter*innen der Queer of Colour Kritik griffen diese Ansätze auf und thematisierten die daraus resultierenden komplexen Hierarchien innerhalb vermeintlich homogener und egalitärer Gruppen sowie die Identitätsbildung im Spannungsfeld von Sexualität und Rassifizierung.

Mithilfe von Konzepten wie Homonormativität  oder Homonationalismus können die Grenzen und Ausschlüsse weißer LGBTIQ Diskurse und Politiken aufgezeigt werden. Die US-amerikanische Geschlechterforscherin Lisa Duggan prägte den Begriff Homonormativität als neoliberale Strategie, mit denen westlich-heteronormative Lebensweisen und Institutionen (wie beispielsweise die Ehe) für LGBTIQ Personen zugänglich gemacht werden, was letztlich zu einer Stärkung der Vormachtstellung dieser Institutionen führt. Homonormativität kann zudem auf Haltungen verweisen, die westliche Konzeptionen geschlechtlicher und sexueller Identität als allgemein gültig ansehen und davon abweichende Lebensrealitäten von QTI*BIPoC (QueerTransInterBIPoC) nicht anerkennen.
Die US-amerikanische Geschlechterforscherin Jasbir Puar führte 2007 Homonationalismus als Konzept ein. Von Homonationalismus wird gesprochen, wenn westliche LGBTIQ Bewegungen Teil heteronormativer mehrheitsgesellschaftlicher Diskurse werden, indem sie sich rassistischen und neo-kolonialen Diskursen anschließen. Diese begreifen die Akzeptanz sexueller Vielfalt als Produkt westlicher „Zivilisation“, während sie Homo-, Trans*- und Queerfeindlichkeit in Gesellschaftsgruppen verorten, die als nicht-weiße und nicht-westliche Bedrohung konstruiert, also rassifiziert werden. Damit in Verbindung steht die komplexe historische Verortung des Queer-Begriffs im Kontext rassismuskritischer Zugänge zu Queer Theory.
QTIBIPoC Theoretiker*innen wie Jin Haritaworn verweisen auf die koloniale Tradition, BIPoC aufgrund ihrer als „rückschrittlich“ angesehenen Sexualität als „queer“ (im Sinne von „nicht der Norm entsprechend“) zu klassifizieren. Während dies in der Kolonialzeit primär ein Abweichen von der viktorianischen heterosexuellen Familiennorm bedeutete, spiegelt sich die ideologische Tradition gegenwärtig in der modernen Konstruktion queerer Identität als fortschrittlich und somit weiß wider: „[…] racialized and colonized populations have been targeted as (then) too queer and (now) not queer-friendly enough” (Haritaworn 2015: 212). Vor allem in indigenen Kontexten spielt die Anerkennung und Wiederaneignung prä-kolonialer BIPoC Geschlechter- und Sexualitätskonzepte eine wichtige Rolle.

Quellen:
https://gender-glossar.de/glossar/item/55-heteronormativitaet