Die Familie Kempinski
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Die Geschichte der Familie Kempinski beginnt Anfang des 19. Jahrhunderts in Posen, jener Provinz des preußischen Königreichs mit dem höchsten Bevölkerungsanteil von Menschen jüdischen Glaubens. Eingeschränkte staatsbürgerliche Rechte und geringe gesellschaftliche Aufstiegschancen veranlassen viele Juden und Jüd*innen zur Auswanderung: entweder nach Übersee oder in Richtung Westen über Breslau nach Berlin.
Die erste Generation des Traditionsunternehmens: Moritz Kempinski (1835 – 1910) sowie das Ehepaar Berthold Kempinski (1843 – 1910) und Helene Kempinski, geb. Hess (1855 – 1932)
Die Brüder Moritz und Berthold Kempinski entscheiden sich für Breslau. Dort legen sie 1862 den ersten Grundstein für das Unternehmen Kempinski, das sich in nur wenigen Jahrzehnten einen renommierten, international bekannten Namen in der Wein-, Feinkost- und Gastronomiebranche macht. Während Moritz Kempinski in Breslau bleibt und von dort aus den Weinhandel leitet, ziehen sein jüngerer Bruder Berthold und dessen Ehefrau Helene Kempinski 1872 nach Berlin weiter und legen den zweiten Grundstein: Sie eröffnen in der Friedrichstraße eine Weinhandlung mit kleinem Geschäftslokal.
Die Eheleute sind nicht nur vorausschauende Geschäftspartner*innen mit einem besonderen Gespür für ihre Berliner Kundschaft. Ihnen liegt auch viel daran, dass das Unternehmen in ihrem Sinne weitergeführt wird und in der Familie bleibt. Als Berthold Kempinski 1910 stirbt, übernehmen Schwiegersohn Richard Unger und Neffe Hans Kempinski das Geschäft. Mitte der 1920er Jahre folgt mit Walter Unger, Walter Kohsen und Friedrich W. Unger – alle mit den Kempinskis und den Ungers verwandt – die zweite Generation von Gesellschaftern. Die Familie erarbeitet sich Wohlstand und Ansehen und ist gesellschaftlich engagiert.
Die nationalsozialistische Herrschaft macht dieser Erfolgsgeschichte ein Ende. Sie führt nicht nur zur Zerschlagung des Unternehmens, sondern hat auch sehr direkte Auswirkungen auf jedes einzelne Familienmitglied: 1936 flüchtet Hans Kempinski mit Ehefrau, Sohn und Schwiegertochter nach London; 1937 flüchtet Friedrich W. Unger in die USA; Ende 1938 flüchtet der betagte Richard Unger mit Frau und Tochter nach London. Zur gleichen Zeit wird Walter Unger, der letzte, in Deutschland gebliebene Kempinski-Gesellschafter, im KZ Oranienburg interniert. Die NS-Behörden entlassen ihn mit der Auflage, die „Arisierung“ des Unternehmens abzuwickeln. Anfang 1943 deportiert ihn die SS nach Theresienstadt und von dort nach Auschwitz, wo er im Oktober 1944 ermordet wird.
An der Aufarbeitung der Familien- und Unternehmensgeschichte haben neben Fritz Teppich und Tom Kempinski vor allem die Frauen der Familien Kempinski und Unger großen Anteil. Ihre Erinnerungen richten den Blick auch auf die individuelle Dimension der NS-Verfolgung – und damit auf die vielen Geschichten, die hinter dem Namen „Kempinski“ liegen und nach wie vor einer Auseinandersetzung bedürfen.