Themenrestaurants im Haus Vaterland

„Die Welt in einem Haus“?

Titel der Festschrift zur Eröffnung des Haus Vaterland, 1928

Das Haus Vater­land bie­tet seinen Be­su­che­r*in­nen et­was, das es bis da­hin nicht ge­ge­ben hat: Er­leb­nis­gastro­no­mie im großen Stil. In auf­wen­dig ge­stal­te­ten The­men­restau­rants kön­nen ins­ge­samt 8.000 Gäste auf kuli­na­ri­sche Welt­reise ge­hen – von Bayern bis in den „Wil­den Wes­ten“.

Schnitt durch das Haus Vaterland mit Lage der Restaurants 

Ob präch­ti­ger Pal­men­saal oder rusti­ka­le Alt-Wie­ner Schän­ke: An jeden Ge­schmack und Geld­beu­tel ist ge­dacht. Wer es be­schau­lich mag, kehrt ins un­ga­ri­sche Dorf­wirts­haus oder in die spa­ni­sche Bo­de­ga ein. Wer Attrak­tio­nen will, be­sucht die Rhein­ter­ras­sen mit stünd­li­cher Ge­wit­ter­si­mu­la­tion. Und wen es für einen Abend in die Fer­ne zieht, geht ins Tür­ki­sche Café oder in die Wild­west-Bar.

In der eigens zur Er­öff­nung des Haus Vater­land ge­druck­ten Fest­schrift heißt es: „Die Welt in ihrer roman­ti­schen Schön­heit hat hier in kristall­ner Form ihr Spie­gel­bild ge­fun­den“. Doch die­ses Spie­gel­bild ist ver­zerrt. Wäh­rend deut­sche und öster­rei­chi­sche The­men­restau­rants mit plat­ten, aber ver­trau­ten Hei­mat­kli­schees auf­war­ten, wer­den Un­garn und Spa­nien zum „wil­den“ Teil Euro­pas er­klärt. Die nach­empfun­de­ne außer­eu­ro­päi­sche Welt spie­gelt vor allem eines wider: kolo­nia­le Er­obe­rungs- und Herr­schafts­phan­ta­sien.

Wildwest-Bar, beworben in der Festschrift zur Eröffnung des Haus Vaterland, 1928

Das Tür­ki­sche Café z.B. prä­sen­tiert kei­ne be­stimm­te Re­gion oder gar ein Land, son­dern die kolo­nia­le Phan­ta­sie eines so­ge­nann­ten „Orients“. Mit der Geo­gra­phie nimmt man es des­halb nicht so ge­nau, Stich­wor­te ge­nü­gen: „Mär­chen­zau­ber“, „Tau­send­und­eine Nacht“, „dun­kel­häu­ti­ge Ara­ber“, die „tür­ki­schen Mok­ka“ brauen. Die Wild­west-Bar lädt mit ihrem Kli­schee vom „wil­den Räu­ber­le­ben“ ein weißes, vor allem männ­li­ches Pub­li­kum da­zu ein, kolo­nia­le Er­obe­run­gen als harm­lo­ses Aben­teu­rer­tum zu feiern.

Um bei­den The­men­restau­rants eine ge­wis­se „Echt­heit“ zu ver­lei­hen, wird Per­so­nal mit „pas­sen­dem“ Aus­se­hen be­schäf­tigt. Für das ent­spre­chen­de Flair haben Men­schen afri­ka­ni­scher und ara­bi­scher Her­kunft zu sor­gen, von de­nen vie­le ge­bür­ti­ge Ber­li­ner*in­nen sind. Diese Art der In­dienst­nah­me von People of Color greift auf eine fol­gen­schwe­re kolo­nial­ras­sisti­sche Tra­di­tion zu­rück: die Zur­schau­stel­lung von als „außer­eu­ro­pä­isch“ de­fi­nier­ten Men­schen zum Zweck der Unter­hal­tung eines wei­ßen Pub­li­kums.

Be­zeich­nen­der­wei­se wird dies­er As­pekt des Haus Vater­land bis heu­te kaum wahr­ge­nom­men oder gar kri­ti­siert. Statt­des­sen über­wiegt die Fas­zi­na­tion da­rüber, was da­mals schon alles mög­lich war. Tat­säch­lich aber hat auch das Kon­zept des Haus Vater­land da­zu bei­ge­tra­gen, die ver­meint­li­che Über­le­gen­heit Eu­ro­pas mas­sen­wirk­sam zu ver­kau­fen. In­dem be­stimm­te Or­te und Men­schen so prä­sen­tiert wor­den sind, als seien sie kon­su­mier­bar, er­schei­nen Kolo­nia­lis­mus, Er­obe­rung und Unter­drüc­kung als „nor­mal“.