Denkschrift von Kwassi Bruce an die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt

Im August 1934 – eineinhalb Jahre nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten und eineinhalb Jahrzehnte nach dem „Verlust“ der deutschen Kolonien – erhält die noch immer bestehende Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt  einen zehnseitigen Brief. Das Schreiben lässt die Beamten aufhorchen. Autor der Eingabe ist der im Deutschen Kolonialhaus aufgewachsene Schwarze deutsche Musiker Kwassi Bruce.

Bruce wendet sich an die NS-Behörden, um die ab 1933 eskalierende Dis­kri­mi­nie­rung von Afrikaner*innen und Afrodeutschen in den Blick zu rücken. Er thematisiert nicht nur seine eigene, sondern eine kollektive prekäre Situation: Aus ihren Berufen gedrängt und für „staatenlos“ erklärt, ist das finanzielle Überleben für viele Schwar­ze Menschen nahezu unmöglich geworden. Bruce stellt die Existenz von „Ras­sen“ nicht in Frage und kritisiert auch nicht die antisemitische Pro­pa­gan­da ge­gen­über Juden und Jüd*innen. Er gesteht dem Deutschen Reich sogar das Recht zu, „die in seinen Grenzen lebenden Andersrassigen an diesem Ausbau des Reiches nicht aktiv teilnehmen zu lassen“.

Gleichzeitig ist sein Schreiben ein vielschichtiges Dokument des Widerstandes. Der Autor lässt den Behörden gegenüber erhebliche Zweifel am staatlich propagierten, kolonialrassistischen Überlegenheitsdenken erkennen und macht deutlich, dass für ihn vor allem zählt, was Menschen für Deutschland geleistet haben. Die von ihm als „Landsleute“ Bezeichneten aus den ehemaligen Kolonien hätten sich – wie er be­tont – während der Kolonialzeit und im Ersten Weltkrieg als „getreueste Söhne Deutsch­lands“ erwiesen. Und er fordert: „Wenn man will, dass wir Afrikaner, auch die aus den ehemaligen deutschen Kolonien, hier aus Deutschland verschwinden, so müßten uns außer der Reise auch die notwendigen Mittel gegeben werden, um uns in unserem ursprünglichen Heimatland eine neue Existenz zu gründen, die uns hier genommen ist [...]“.

So sehr die deutschen Kolonialbehörden schon in der Zwischenkriegszeit auf eine „freiwillige“ Auswanderung von alleinstehenden Schwarzen Personen drängen, so indiskutabel ist für sie die Förderung einer Ausreise Schwarzer Männer mit ihren weißen Frauen in die ehemaligen deutschen Kolonien. Das Deutsche Reich erhofft sich eine „Rückgabe“ dieser Gebiete durch den Völkerbund und sieht solche Ver­bin­dun­gen als grundlegende Gefährdung der kolonialrassistischen Hierarchie an. Die Forderungen von Bruce werden deshalb nicht weiter diskutiert, behördenintern aber sehr wohl zur Kenntnis genommen und an diverse Stellen weitergeleitet.

Die Denkschrift von Kwassi Bruce ist ein seltenes, aus dieser Zeit überliefertes in­tel­lek­tuel­les Selbstzeugnis. Sie stellt nicht nur globalgeschichtliche Zu­sam­men­hänge zwischen Diaspora-Erfahrung, Kolonialismus und Versklavung her. Sie macht auch auf eindringliche Weise deutlich, welche Auswirkungen der koloniale Blick auf Men­schen zeitigt, die jeden Tag mit der ge­walt­vol­len Rea­li­tät des An­ge­schaut- und Aus­ge­grenzt-Wer­dens um­ge­hen müs­sen. Eini­ge Er­fah­run­gen und Über­le­gun­gen, die Kwassi Bruce vor über acht­zig Jah­ren for­mu­liert hat, sind nach wie vor aktuell.