„Tiefland“ - Die mühsame Aufarbeitung einer verdrängten (Film-)Geschichte

Der Film „Tief­land“ rückt be­reits 1949 – fünf Jahre vor seiner Ur­auf­füh­rung – erst­mals ins Licht der Öffent­lich­keit. Regis­seu­rin Leni Riefen­stahl, die maß­geb­lich zur Ver­herr­li­chung des Natio­nal­sozia­lis­mus bei­ge­tra­gen hat, klagt gegen einen Jour­na­lis­ten. Die­ser be­rich­tet in einem Arti­kel über die Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Films und rich­tet sein Augen­merk auf die Kom­par­s*in­nen: in den Zwangs­lagern Berlin-Marzahn und Maxglan inter­nier­te Sinte*zza und Rrom*nja, die zwi­schen 1940 und 1942 für die Dreh­arbei­ten zwangs­ver­pflich­tet und da­nach in Auschwitz er­mor­det wer­den. Das Ge­richt ver­ur­teilt den Jour­na­lis­ten we­gen „Ver­leum­dung“.

Stolpersteine für die ermordeten Kinder des Zwangslagers Maxglan bei Salzburg

Als der Film 1954 in Stutt­gart ur­auf­ge­führt wird, fin­det sich kein Hin­weis auf die Her­kunft und das Schick­sal der Kom­par­s*in­nen. So­gar ihre Namen blei­ben un­ge­nannt. Im Vor­spann tau­chen sie ledig­lich als „Bauern, Mägde u. Knechte“ auf. Die Regis­seu­rin leug­net zeit­lebens, etwas von ihrem weite­ren Lei­dens­weg ge­wusst zu haben.

Fast drei­ßig Jah­re spä­ter er­in­nert die Filme­mache­rin Nina Gla­ditz mit ihrer Doku­men­ta­tion „Zeit des Schwei­gens und der Dun­kel­heit“ er­neut an die Kom­par­s*in­nen in Rie­fen­stahls Film. Sie re­cher­chiert nicht nur deren Ge­schich­ten, son­dern lässt die Über­leben­den selbst zu Wort kom­men. Vor allem aber weist sie nach, dass Riefen­stahl die Men­schen per­sön­lich in den La­gern aus­ge­sucht, zwangs­ver­pflich­tet und nicht ent­lohnt hat. Nach der Erst­aus­strah­lung 1982 reicht Riefen­stahl Kla­ge ein: wie­der we­gen „Ver­leum­dung“.

Nach jahre­lan­gem Rechts­streit wird die „Tief­land“-Regis­seu­rin in meh­re­ren Punk­ten der Lüge über­führt. Doch das Ge­richt trifft eine fol­gen­schwe­re Ent­schei­dung: Die Aus­sa­ge des eins­ti­gen Kom­par­sen Joseph Rein­hardt, der zu­fol­ge Riefen­stahl Kennt­nis von Auschwitz ge­habt hat, soll aus der Doku­men­ta­tion ent­fernt wer­den. Nina Gla­ditz ent­schei­det sich dage­gen. Seit­dem lie­gen ihr Film und mit ihm alle Recher­chen und Aus­sa­gen von  Zeit­zeug*in­nen für die Öffent­lich­keit un­zu­gäng­lich im Ar­chiv des WDR. 

Im Jahr 2001 rol­len Rei­mar Gil­sen­bach und Otto Rosen­berg die Ge­schich­te der „Tief­land“-Kom­par­s*in­nen er­neut auf. Sie fol­gen den Spu­ren einer Son­der­steuer­liste, die in die Haupt­bücher der KZ-Ver­wal­tung von Auschwitz führt. Außer­dem wer­ten die Über­leben­den Otto Rosen­berg, Agnes Stein­bach und Ewald Han­stein ge­mein­sam 50 er­hal­te­ne Stand­fotos aus, auf denen die Dreh­arbei­ten zu „Tief­land“ doku­men­tiert sind. Sie kön­nen den foto­gra­fier­ten Men­schen – unter ihnen zahl­reiche An­ge­hö­ri­ge der Zeit­zeu­g*in­nen – Namen und Ge­schich­ten zurück­geben. Mit ihrem Wis­sen und ihren Er­fah­run­gen be­wah­ren sie zu­gleich eine größe­re Ge­schich­te: eine, die dem un­be­greif­li­chen Aus­maß des Völker­mords mit dem Wider­stand der Er­in­ne­rung be­geg­net.