Zwangsarbeit von Sinte*zza und Rrom*nja: Das Zwangslager Berlin-Marzahn
Ausschnitt aus dem Film "Das falsche Wort" (1987) von Melanie Spitta und Katrin Seybold
Am 16. Juli 1936, kurz vor Beginn der Olympischen Spiele, transportieren Einheiten der Berliner Polizei und der SA über 600 Sinte*zza und Rrom*nja an den östlichen Stadtrand von Berlin. Der Ort, an den sie gebracht werden, ist eines der ersten Zwangslager, das die nationalsozialistischen Behörden für als „fremdrassig“ kategorisierte Menschen einrichten. Es dient der Kontrolle und Überwachung, der Ausbeutung durch Zwangsarbeit und der Vorbereitung von systematischen Deportationen in Konzentrationslager.
Die Lebensbedingungen sind katastrophal. Das Lager wird bewacht und darf nur mit polizeilicher Erlaubnis verlassen werden. 1938 wird ein Großteil der Männer ins KZ Sachsenhausen, 1939 ein Großteil der Frauen ins KZ Ravensbrück verschleppt. Zurück bleiben Ältere, Jugendliche und Kinder, die zur Zwangsarbeit verpflichtet werden. Die Zuweisung übernehmen anfangs die Arbeitsämter, später dann vermutlich jene Dienststelle in der Fontanepromenade, die die Zwangsarbeit von Juden und Jüd*innen koordiniert.
Otto Rosenberg wird im Alter von 13 Jahren für das Unternehmen Danneberg und Quandt Apparatebau in Lichtenberg zwangsverpflichtet. Trotz seiner Arbeit in der Spritzlackiererei wird ihm die Schwerarbeiterkarte entzogen. Besonders hart trifft ihn jedoch der räumliche Ausschluss aus der Gemeinschaftsverpflegung:
„Ich mußte mein Brot auf einem Holzstapel draußen auf dem Hof essen. Ich durfte buchstäblich nicht mehr an den Tisch. [...] Ich hatte keinem Menschen was getan und war in meinem Denken und in meiner Handhabung doch noch ein Kind.“
1943 werden fast alle im Zwangslager Marzahn verbliebenen Menschen nach Auschwitz deportiert. Den Pharrajmos überleben nur wenige. Nach 1945 beginnt für Sinte*zza und Rrom*nja die Zweite Verfolgung: Der bundesdeutsche Staat beschäftigt viele NS-Täter*innen weiter, die aktiv an der Verfolgung beteiligt gewesen sind und nun über die Entschädigungsanträge ihrer einstigen Opfer entscheiden.
Otto Rosenberg klagt in den 1950er Jahren vor dem Landgericht Berlin auf Entschädigung. Seine Klage wird mit der Begründung abgewiesen, er sei „kein echter Deutscher und hätte keine Bindung an die Stadt Berlin“. Ewald Hanstein erhält nach einem über zwanzig Jahre andauernden Verfahren eine monatliche Rente von 530 D-Mark für seine Haftzeiten. Beide Männer kämpfen in der Bürgerrechtsbewegung der Sinte*zza und Rrom*nja für die strafrechtliche Verfolgung der Täter*innen und eine Entschädigung der Opfer.
Erst 2001 wird das Zwangslager Marzahn als „entschädigungswürdiger“ Haftort anerkannt. Für viele Überlebende kommt dies zu spät. 2011 entsteht dort auf Initiative des Landesverbandes der Sinti und Roma Berlin-Brandenburg ein Ort der Erinnerung und Information.
Das Zwangslager Berlin-Marzahn – Ort der Erinnerung und Information