Geschichte des Haus Vaterland
Vom Amüsiertempel im Herzen der Stadt zur Ruine im Niemandsland
Einstiger Standort des Haus Vaterland: Stresemannstraße (ehemalige Königgrätzer
Straße) | Ecke Köthener Straße
Am Potsdamer Platz befand sich ein Gebäude, das vielen Berliner*innen als „legendär“ gilt: das Haus Vaterland. Obwohl es heute nicht mehr existiert, steht seine Geschichte wie kaum eine andere für die tiefgreifenden politischen Umwälzungen des 20. Jahrhunderts und ihre gebrochenen Widerspiegelungen im Zentrum des Stadtraums Berlin.
Der Gebäudekomplex des späteren Haus Vaterland wird 1912 als Büro- und Gastronomiebetrieb erbaut und heißt zunächst Haus Potsdam. Schon zu dieser Zeit bietet es eine gastronomische Sensation: das prächtige Café Piccadilly mit 2.500 Plätzen. Kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird es in „Kaffeehaus Vaterland“ umbenannt. Die patriotische Namensgebung erweist sich für fast vier Jahrzehnte als anschlussfähig.
Ankündigung der Umbenennung des Café Piccadilly, 1914
In den 1920er Jahren geht das Gebäude an ein Konsortium, das eine bis dahin beispiellose Attraktion realisieren will: Ein gigantisches „Haus der Nationen“ soll entstehen, Berlin als pulsierende Metropole von Weltrang präsentiert werden. Die Neueröffnung des Haus Vaterland am 1. September 1928 ist ein mediales Großereignis. Die Geschäftsführung des Restaurantbetriebs übernimmt das renommierte Traditionsunternehmen der Familie Kempinski.
Der Kempinski-Turm mit Stern wird ab 1936 durch die „Hitlertraube“ ersetzt. Nach der „Arisierung“ durch die Aschinger AG ändert sich das Signet erneut. Name und Logo der Familie Kempinski sind ab 1941 getilgt.
Bis 1943 bleibt das Gebäude weitgehend unversehrt. Dass die Nationalsozialisten bereits seit zehn Jahren an der Macht sind und der Betrieb längst nicht mehr dem Unternehmen Kempinski gehört, lässt sich allenfalls an der Fassade ablesen. An der Schmalseite des Hauses steht seit 1941 nur noch „Haus Vaterland“ mit dem Schriftzug der Firma F. W. Borchardt. Ende 1943 wird das Gebäude durch Sprengbomben schwer beschädigt, 1945 brennt es völlig aus.
Um 1949 wird in der Ruine des Haus Vaterland das Café mit bescheidenen Mitteln wiederhergerichtet und nimmt als verstaatlichte HO-Gaststätte den Betrieb auf. Das Gebäude befindet sich im Sowjetischen Sektor; nach dem 7. Oktober 1949 auf dem Territorium der DDR. Am 17. Juni 1953 – dem Tag des Volksaufstands – brennt das Café völlig aus. Eine Neueröffnung findet nicht mehr statt, so dass der zwischen den Sektorengrenzen gelegene Gebäuderest langsam verfällt.
Mit dem Bau der Mauer im August 1961 wird das gesamte Areal des Potsdamer Platzes für fast dreißig Jahre zum innerdeutschen Grenzgebiet. Die Ruine des Haus Vaterland steht im Niemandsland. Im Zuge eines Gebietstauschs fällt das Grundstück, auf dem sich das Haus Vaterland befindet, 1972 an Westberlin. Vier Jahre später werden seine Überreste endgültig abgerissen.
Die Ruine des Haus Vaterland kurz vor dem Abriss, November 1975
Geborgene Fundstücke aus der Ruine des Haus Vaterland
Im Zuge der Neubebauung des Potsdamer Platzes werden 2002 am einstigen Standort des Haus Vaterland die Park Kolonnaden eröffnet.