Märkisches Ufer 10: Das Ermelerhaus

Globale Ausbeutung: Berlins Einbindung in das System der Plantagensklaverei

„Mein Anfang war 100 Thaler, jetzt 56 Jahre alt, habe ich schon über 200.000 Thaler nach und nach und ohne Specu​­­­­­­­­­­­­­lation redlich verdient.“ So heißt es im Tagebuch des einst stadt­­­bekannten Berliner Tabak­­händlers und­­ ­-fabrikanten Wilhelm Ermeler. Dieser erwirbt 1824 eines der prächtigsten Bürger­häuser der preußischen Haupt­stadt samt der dahinter liegenden Tabakfabrik.

Dass der Reichtum der preußischen Tabak­händler nicht unbedingt auf „Redlichkeit“ beruht, macht der im frühen 19. Jahrhundert über dem Portal des Ermelerhauses angebrachte Fries deutlich. Zu sehen sind spärlich bekleidete Schwarze Männer und Frauen in einer tropisch anmutenden Landschaft, die bei der Ernte des Tabaks die körperliche Arbeit verrichten, und vollständig bekleidete weiße Männer, die offenbar für das Geschäftliche zuständig sind. Ein Schiff bringt den Tabak übers Meer. Am Horizont sieht man den Deutschen und den Französischen Dom, die Wahrzeichen Berlins.

Koloniale "Weltordnung" als Häuserschmuck: Die Fassadenverzierung am Ermelerhaus

Selten ist die direkte Einbindung der Stadt Berlin in das Jahr­hunderte wäh­rende, weltweite Wirtschafts­­­system der Plantagen­­­­sklaverei so deutlich erkennbar wie an dieser Fassaden­­­verzierung. Kolonial­­rassisti­sche Macht- und Produk­tions­­ver­hält­nisse werden hier als „natür­liche Ord­nung der Welt“ prä­sen­tiert. Be­zeich­nend ist, was diese roman­t­isie­ren­de und aus weißer männ­licher Sicht ge­deu­te­te Ge­schichte dabei nicht zeigt: die Ver­trei­bung der Native Americans von ihrem Land, die Ver­schlep­pung von Millio­nen von Menschen aus Afrika und die ge­walt­volle Un­­mensch­lich­keit des Systems der Plan­tagen­­skla­­ve­rei.

Auch vom an­dauern­den Wider­stand der Opfer von Kolo­nia­li­sie­rung und Ver­skla­vung fin­det sich in die­ser Dar­stel­lung keine Spur. Dabei sind die Jahre, in denen die Fas­­sa­­de ge­stal­tet und das Re­lief an­ge­bracht wird, gera­de in dieser Hin­sicht be­deut­sam: Am 1. Januar 1804 er­kämpfen sich die Ver­sklav­ten der fran­zö­si­schen Plan­ta­gen­­ko­­lo­­nie Saint-Domingue ihre Frei­heit. An­ge­führt wer­den sie vom Schwarzen Re­­vo­­lu­­tio­­när Toussaint Louverture (1743 - 1803). Mit der Republik Haiti ent­steht La­tein­­ame­ri­kas erster un­ab­hän­gi­ger Staat.

Porträt des Nationalhelden Touissaint Louverture auf einer
haitianischen Banknote

Die erfolgreiche Selbst­­befreiung geht als Haitianische Revolution vor allem in Schwarze Ge­schichts­schreibungen ein. In europäischen Geschichtsschulbüchern wird sie hin­gegen bis heute kaum berücksichtigt. Immerhin wird das Vermächtnis der epochemachenden Revolution mittlerweile von den Vereinten Nationen gepflegt. Seit 2004 verleiht die UNESCO die Toussaint Louverture-­Medaille, eine Aus­zeich­nung, die anlässlich des „Internationalen Jahres der Vereinten Nationen zum Ge­den­ken an den Kampf gegen die Sklaverei und ihre Abschaffung“ eingeführt wird.