Der U-Bahnhof M***-Straße

Ort umstrittener Geschichte*n und Erinnerungen

Viele Straßen­namen die­nen dazu, an be­deu­ten­de Per­sön­lich­keiten und histo­ri­sche Er­eig­nis­se zu er­innern. Doch welche Per­sön­lich­kei­ten und Er­eig­nis­se dafür als wür­dig er­ach­tet wer­den, wie diese Er­inne­rung ge­samt­ge­sell­schaft­lich ver­han­delt und ge­stal­tet wird, wer da­ran teil­nimmt und da­von aus­ge­schlos­sen ist, kann zu öffent­li­chen Aus­ein­ander­setzun­gen füh­ren. Auch um den U-Bahn­hof und die namens­ge­ben­de M***-Straße wer­den seit vie­len Jah­ren poli­ti­sche Kämpfe zur Um­be­nen­nung aus­ge­tra­gen.

Der U-Bahn­hof hat eine be­weg­te Ge­schich­te von Namens­ge­bun­gen hin­ter sich. 1908 als „Kaiser­hof“ ein­ge­weiht, ist er nach einem nahe­ge­le­ge­nen Luxus­hotel be­nannt. 1950 er­folgt die Um­be­nen­nung in „Thäl­mann­platz“, um den von den Natio­nal­so­zia­lis­ten er­mor­de­ten Vor­sitzen­den der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei zu eh­ren. Damit es nicht zu Ver­wechs­lun­gen mit einem gleich­na­mi­gen Stadt­vier­tel kommt, heißt der Bahn­hof ab 1986 „Otto-Grote­wohl-Straße“ und er­in­nert an den ersten Mini­ster­prä­si­den­ten der DDR. 1991 wird der Bahn­hof er­neut um­be­nannt, dies­mal in M***-Straße.

Die letz­te Um­be­nen­nung ist er­in­nerungs­poli­tisch be­son­ders bri­sant. Sie ist Teil einer grö­ße­ren Ak­tion des Senats, im Zuge derer die Namen vieler sozia­lis­ti­scher Per­sön­lich­kei­ten aus dem öffent­li­chen Raum ent­fernt wer­den. Die Ein­wei­hung des U-Bahn­hofs fin­det an einem sym­bol­träch­ti­gen Datum statt: am 3. Okto­ber 1991, dem ersten Jahres­tag der Deut­schen Ein­heit. Seine Um­be­nen­nung in M***-Straße voll­zieht nicht nur das Ende der DDR im Straßen­bild des „ver­ein­ten“ Berlins. Sie wer­tet an einem zen­tral ge­le­ge­nen Ort auch eine Tra­di­tion auf, die eng mit dem Kolo­nia­lis­mus ver­bun­den ist.

Wie un­re­flek­tiert mit die­ser Tra­di­tion um­ge­gan­gen wird, zeigt sich daran, dass die Um­be­nen­nung des U-Bahn­hofs in eine Zeit fällt, in der anti­semi­ti­sche Tabu­brüche und die rassisti­sche Be­dro­hung von Juden und Jüd*in­nen, Muslim*in­nen, Sinte*zza und Rrom*nja, Ein­ge­wan­der­ten und Ge­flüch­te­ten, Schwar­zen Men­schen und People of Color sprung­haft an­stei­gen. Das er­schrec­ken­de Aus­maß an Alltags­rassis­mus, rech­ten An­schlä­gen, kör­per­li­chen Über­gri­ffen und Mor­den ist von natio­na­lis­ti­schen De­bat­ten in Poli­tik und Me­dien be­glei­tet.

Zu­gleich steigt das Be­wusst­sein, dass Rassis­mus ein ernst­zu­neh­men­des Pro­blem der deut­schen Gesell­schaft ist. In öffent­li­chen Dis­kus­sio­nen wird dabei auch auf den Zu­sam­men­hang zwischen rassis­ti­scher Sprache und Ge­walt hin­ge­wiesen. Der Pro­test gegen die Um­be­nen­nung des U-Bahn­hofs lässt nicht lange auf sich war­ten. Bei die­ser Gele­gen­heit rückt auch die Ge­schich­te der M***-Straße selbst in den Blick.