Wilhelmstraße 49: Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales

Nationalsozialistische Praxen: Verwaltung und Erzwingung von Arbeit

Das Bundes­ministe­rium für Arbeit und Sozia­les und seine Ver­wal­tung, die Ar­beits­­äm­ter, prä­gen den All­tag und die Lebens­situa­tion vieler Men­schen. Trotz ihrer um­­fang­­reichen Zu­stän­dig­keiten und ihres ge­sell­schaft­lichen Ein­flus­ses ist über die Ge­schich­te der Be­hör­de je­doch nur wenig be­kannt. Ihre un­mit­tel­ba­re Vor­gän­ge­rin – das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Reichs­arbeits­ministe­rium – trägt zwischen 1933 und 1945 eine Haupt­ver­ant­wor­tung für die Ver­fol­gung und Aus­beu­tung von Millio­nen Men­schen in Deutsch­land und Euro­pa. Nicht um­sonst ver­nich­ten An­ge­stell­te der Arbeits­ämter in den letz­ten Tagen des Zweiten Welt­kriegs einen Groß­teil der Akten­be­stän­de. 

Gebäude des Reichsarbeitsministeriums in der Invalidenstraße, 1925/1932, Bundesarchiv, Bild 116-306-02 / Fotograf: Max Krajewsky

Erste staat­liche Struk­tu­ren, um den Arbeits­markt zu steuern, ent­ste­hen be­reits im Deut­schen Kaiser­reich (1871 - 1918). Im Zeit­alter von Industria­li­sie­rung und Groß­­macht­stre­ben ist die Ver­wal­tung und Ver­tei­lung von Arbeit nicht nur eng an wirt­­schaft­­liche Interes­sen ge­knüpft. Sie ist auch von natio­na­len, im­pe­ria­listi­schen, rassisti­schen, anti­semi­ti­schen und ande­ren men­schen­feind­li­chen Ideo­lo­gien ge­­lei­­tet. Von An­fang an wird die öko­no­mi­sche „Nütz­lich­keit“ der mensch­li­chen Ar­beits­­kraft mit einer poli­ti­schen Frage­stel­lung ver­bun­den: Wer darf und wer muss welche Arbeit in wel­chem Rah­men und zu welchen Be­din­gun­gen leisten?

Mit be­hörd­li­chen und pri­va­ten Arbeits­poli­ti­ken schaf­fen Staat und Unter­neh­mer ein „System der Un­gleich­be­hand­lung“, das den Zu­gang zu Arbeit nach be­stimm­ten Kri­te­rien – z.B. Natio­na­li­tät, Her­kunft, Ge­schlecht, Reli­gions­zu­ge­hö­rig­keit, Klas­­sen­­zu­­ge­­hö­rig­keit, kör­per­li­chen Stan­dards und Bil­dung – regu­liert. Arbeit ist also nicht gleich Arbeit. Viel­mehr hän­gen die Art der Arbeit, die ein Mensch leisten darf oder muss, und seine Stel­lung in der Ge­sell­schaft zu­sam­men. 

Der Zwang zur Arbeit, der seit dem Kolo­nia­lis­mus mit ras­sis­ti­schen Argu­men­ten ge­recht­fer­tigt wird, stellt eine ge­walt­volle Form dar, um Men­schen aus­zu­beu­ten und zu dis­kri­mi­nie­ren. Im Natio­nal­so­zia­lis­mus wird die­ses bru­ta­le Ver­mächt­nis auf­­ge­­grif­fen und unter ande­ren Vor­zei­chen er­heb­lich er­wei­tert. Zwangs­arbeit von Juden und Jüd*­in­nen, von Sinte*zza und Rrom*nja und anderen, als „nicht-arisch“ be­zeich­ne­ten Men­schen dient den NS-Be­hör­den zu­nächst als Mittel zur rassisti­schen Aus­­gren­zung. Sie wird darüber hin­aus auch zur „Um­er­zie­hung“ von poli­tisch Anders­­den­ken­den und von Men­schen, die als be­hin­dert oder krank ein­ge­stuft werden, ein­ge­setzt. Spä­tes­tens mit Be­ginn des Zwei­ten Welt­kriegs wird daraus ein In­stru­­ment zur syste­ma­ti­schen Ver­schlep­pung, Aus­beu­tung und Ver­nich­tung von Men­schen.