Erzwungene Migration: Die ersten Afrikaner*innen und „Türk*innen“ in Berlin
Im Dezember 1687 wird der Berliner Bevölkerung ein makaberes Schauspiel geboten. Aus dem sogenannten „Türkenkrieg“ heimkehrende Truppen des Kurfürsten Friedrich Wilhelm reiten im Triumphzug durch die Stadt. Der Sieg über die als „ungläubig“ erachteten Bewohner*innen des Osmanischen Reiches ist als demütigendes Spektakel inszeniert: Präsentiert wird nicht nur Brandenburgs reiche Beute. Die Menge bekommt auch „viel Türken, Türkinnen und sechs Juden“ vorgeführt. Als Kriegsgefangene adliger Heerführer können diese nun verkauft und verschenkt werden.
Einige Jahre zuvor sind auch die ersten Westafrikaner*innen nach Berlin und Umgebung verschleppt worden. Die meist Minderjährigen beginnen ihr Leben am Hof als „Eigentum“ adeliger oder großbürgerlicher Herrschaften. Ebenso wie die muslimischen Kriegsgefangenen werden sie nach sprachlicher und religiöser Unterweisung christlich getauft und dann oft nach ihren Paten benannt. Ihre richtigen Namen sind deshalb heute kaum noch nachvollziehbar. Zwischen 1681 und 1722 sind allein für Berlin, Potsdam und Spandau über fünfzig solcher Taufen belegt.
Über die Biografien der meisten Menschen afrikanischer und osmanischer Herkunft ist wenig bekannt. Sie dienen zumeist am Hof oder im Militär. Als Erwachsene erhalten sie dafür Lohn oder Sold, doch hängt ihr Schicksal weitgehend vom Wohlwollen ihrer Dienstherr*innen ab und ist entsprechend unsicher. Das gilt selbst für prominente Personen, wie den kurfürstlich-königlichen Schwarzen Kammerdiener Friedrich Wilhelm (geb. ?, getauft 1685, gest. um 1712) oder den als Kammerdiener verpflichteten Kriegsgefangenen Friedrich Aly (geb. um 1666, getauft April 1692, gest. 1716).
Schwarze und "türkische" Bedienstete beim Tabakskollegium am Berliner Hof. Beim Bediensteten mit roter Livree und Turban im hinteren Teil des Bildes (stehend, Mitte links) handelt es sich vermutlich um Friedrich Aly. Ölgemälde, um 1710
Auch wenn es in Preußen offiziell nicht erlaubt ist, Menschen zu versklaven, sind „türkische“ und afrikanische Bedienstete dennoch nur in Ausnahmefällen frei. Vom Adel können sie als leibeigene Untertanen betrachtet werden. Als Minderjährige sind sie bürgerlichen Vormündern ausgeliefert, und als Erwachsene müssen sie ihren „Besitzer*innen“ so lange dienen, bis sie ihren eigenen Kaufpreis abgearbeitet haben. Selbst dann sind die Möglichkeiten, eine Freilassung juristisch durchzusetzen, äußerst gering, weil es dafür keine Gesetzesgrundlage gibt.
Trotzdem prozessiert 1780 erstmals ein Schwarzer Kämmerer gegen die vertragswidrige Verlängerung seines unfreien Dienstverhältnisses vor einem preußischen Gericht. Ein rechtskräftiges Urteil wird nicht gefällt. Der Müllermeister Mensah Sebastian, der sich im frühen 19. Jahrhundert in einer ähnlichen Situation befindet, entschließt sich zur Flucht. Es gelingt ihm, von Weimar über Kopenhagen an die Goldküste, das heutige Ghana, zurückzukehren.