Geschichte des „Sarotti-M.“: Zur Karriere eines umstrittenen Markenzeichens

1918 gibt die Sarotti AG ein neues Firmen­logo in Auf­trag. Es soll Schwung in die Wer­bung brin­gen und einen etwas lang­wei­li­gen Bären er­setzen. Der Werbe­gra­fi­ker Julius Gip­kens ent­wirft zu­nächst die Bild­marke „Drei M.en mit Tab­lett“. Vier Jah­re spä­ter folgt der eigent­liche „Sarotti-M.“ und wird zum Er­folgs­brin­ger. Er er­scheint auf Scho­ko­la­den­ta­feln, Pra­li­nen­schach­teln und Post­kar­ten und bahnt sich seinen Weg in Haus­hal­te und Kin­der­zim­mer.

Der große Be­liebt­heits­grad des Mar­ken­zeichens hat mehre­re Grün­de. Zum einen knüpft es an die po­pu­lä­re Bil­der­welt um 1900 an. Zum ande­ren fällt sein Ent­ste­hungs­jahr mit der Nie­der­la­ge Deutsch­lands im Ersten Welt­krieg zu­sam­men. Das Motiv be­dient Sehn­süch­te einer Ge­sell­schaft, die den Ver­lust „ihrer Kolo­nien“ als natio­na­le De­mü­ti­gung em­pfin­det und an der Vor­stel­lung fest­hält, ein Recht daruf zu haben, andere Kontinente zu besetzen.

Der „Sarotti-M.“ basiert auf einem kolonialen Menschenbild, in dem mehrere Vorstellungswelten miteinander verschmelzen: die des eifrigen kindlichen Dieners, der aus einer geheimnisvollen Region kommt, dessen Status und Tätigkeit sich daraus quasi „ableiten“ und dessen einzige Bestimmung darin zu liegen scheint, weißen Herrschaften das Leben zu versüßen. Die vermeintliche „Niedlichkeit“ des Motivs verschleiert äußerst gewaltvolle Botschaften: Solche Diener müssen nicht als Einzelpersonen betrachtet werden und bekommen deshalb auch kein individuelles Gesicht. Solche dienenden Kinder sind „kein Problem“.

Der „Sarotti-M.“ über­steht nicht nur den Natio­nal­so­zia­lis­mus, son­dern tritt in West­deutsch­land einen er­neu­ten, bis da­hin bei­spiel­lo­sen Sie­ges­zug an. In den 1950er Jah­ren er­reicht sein Be­kannt­heits­grad über 95 Pro­zent! Das liegt nicht allein an den zahl­lo­sen „Fan­arti­keln“, die vom Werbe­pla­kat bis zur Pillen­dose kaum Wün­sche offen­las­sen. Den eigent­li­chen Er­folg garan­tiert das neue Me­dium Fern­se­hen: Es strahlt ani­mier­te Werbe­spots zur Prime­time aus.

Werbevideo für Sarotti-Schokolade von 1954

Seit den 1990er Jahren wird die Sarotti AG mit Rassismusvorwürfen konfrontiert, kann diese aber lange ignorieren. Ein fehlendes gesellschaftliches Problembewusstsein und kaum stattfindende öffentliche Diskussionen führen dazu, dass der „Sarotti-M.“ 1998 in einer großen „Nostalgie-Edition“ sogar noch einmal wiederbelebt wird. Erst 2004 ist der Konzern gezwungen, das Markenzeichen zu ändern. Der „Sarotti-Magier der Sinne“ ist nun golden. Er trägt jedoch noch immer Turban und Pluderhose, erinnert noch immer an ein Kind und knüpft so an die seit dem Kolonialismus bestehende Verbindung von Schokolade, „Exotik“ und Ausbeutung nahtlos an.